Gin ist eine historisch faszinierende Spirituose mit einer komplexen Geschichte. Kaum ein anderes hochprozentiges Getränk hat derart viele Hochs und Tiefs erlebt und wurde stärker von äußeren, oft politischen, Einflüssen geprägt, als der schmackhafte Wacholder-Branntwein.
Gin, ein klare Spirituose - Bild von Uwe Baumann
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Wacholderspirituosen
Auch wenn es an vielen Stellen anders und oft stark vereinfachend beschrieben wird, die frühe Geschichte des Gins ist mehr als das Werk einer einzelnen Person oder einer bestimmten Manufaktur, das zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Ursprung hatte. Es war ein allmähliches Zusammentreffen zweier Zutaten, Wacholder mit Alkohol, von denen beide viele getrennte Abenteuer erlebten, bevor sie in einem Glas Gin vereint wurden.
Dem Arzt Franciscus Sylvius (* 1614; † 1672) wird irrtümlicherweise die Erfindung des Genever in der Mitte des 17. Jahrhunderts zugeschrieben. Allerdings ist die Existenz von Genever bereits 1623 schriftlich bestätigt und in der Branntweinverordnung der niederländischen Staaten wurden bereits 1606, also acht Jahre vor seiner Geburt, Steuern auf destillierten Wacholder erhoben. Auch die Vorstellung, Gin sei einst aus Genever entstanden, ist genau genommen nicht korrekt. Historische Aufzeichnungen aus unterschiedlichen Ländern Europas belegen, dass wacholdergespickte Spirituosen jahrhundertelang nebeneinander existierten.
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Genever
Wann genau Wacholderbeeren erstmals zur Aromatisierung von Alkohol verwendet wurden, ist nicht bekannt. Wenn es jedoch um den Genuss von Genever geht, findet man in drei Ländern schriftliche Aufzeichnungen, die die Provenienz des Genevers belegen: Flandern (im heutigen Belgien), nördliche Niederlande und Ostfriesland. Die früheste bekannte schriftliche Erwähnung von Genever findet sich in dem Werk Der Naturen Bloeme (Brügge) aus dem 13. Jahrhundert.
Es ist bekannt, dass Genever schon vor dem Siegeszug des Gins populär war und auch danach äußerst begehrt blieb. In der Zeit als Gin und Genever an Popularität gewannen, beeinflussten sie sich gegenseitig, und ihre Geschichten sind miteinander verflochten.
Das früheste gedruckte Rezept für Genever stammt aus dem Werk Een Constelijck Distileerboec (Antwerpen) aus dem 16. Jahrhundert. Zu dieser Zeit destillierten Mönche alkoholische Stärkungsmittel, u.a. auch in Wein angesetzte Wacholderbeeren. Später wurde Malzwein verwendet, der durch mehrfaches Destillieren von Getreide-Maische gewonnen wurde. Hochreinen, neutralen Alkohol konnte man noch nicht herstellen, deswegen hatte die gewonnene Spirituose einen sehr intensiven Malzgeschmack.
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Handel
Im 16. Jahrhundert war Flandern ein Dorado für Destillateure und ein Land, das für die Verbreitung des Wissens über das Destillieren bekannt war. Diese Entwicklung kam im Jahre 1601 zum Erliegen, als der Erzherzog Albrecht VII. ein Verbot der Produktion und des Verkaufs von Branntwein erließ. Die flämischen Brenner waren gezwungen in die nördlicheren Niederlanden oder nach Deutschland abzuwandern. Genever wurde bereits vor dieser Migration an verschiedenen Orten hergestellt, allerdings verlagerte sich das Zentrum der Genever-Produktion nach Norden.
Im darauffolgenden Jahrhundert florierten die Brennereien ganz besonders in den Niederlanden, wobei die Ostindien-Handelsgesellschaft (VOC) eine zentrale Rolle für den Aufstieg des Genever spielte. Sie nahm die Spirituose mit in die ganze Welt und nutzte sie sowohl als wertvolles Tauschmittel als auch als Ration für die Seeleute, die Anspruch auf 150 ml pro Tag hatten. Die Reisen in die Neue Welt dauerten zwischen 9 Monaten und 2 Jahren, was bedeutet, dass jedes Schiff pro Seemann mehr als 100 Liter Genever mit sich führte.
Die VOC war für viele Brennereien nicht nur der wichtigste Kunde, sondern die symbiotische Beziehung, die sie unterhielten, schuf einen Kreislauf, der für die Geschichte des Gins und seinen Geschmack von grundlegender Bedeutung war. Die VOC war ein großer Importeur von Gewürzen, was bedeutete, dass sie den Destillateuren neue Zutaten lieferte, mit denen sie arbeiten konnten. Es wurde experimentiert und klassische Rezepte wurde abgewandelt und erweitert.
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Der Boom
Abgesehen von ihrem eigenen Bedarf exportierte die niederländische Ostindischen Kompanie aus Amsterdam den Wacholderbrand über ihr Handelsnetz in einen globalen Markt. Die Produktion erlebte einen rasanten Aufschwung, und im Laufe der Jahrzehnte wurde Genever immer komplexer und geschmacksintensiver, so dass er sich von einer einfachen botanischen Tinktur zu einer komplexen Spirituose mit vielen Gewürzen und exotischen Aromen entwickelte. Neue Marken entstanden und Destillationsdynastien erblühten (Wynand Fockink, Lucas Bols, Petrus De Kuyper). Der Ruf des niederländischen Genevers war so gut, dass er ein ernstzunehmender Konkurrent von französischen Brandy wurde.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Brennereien in Schiedam auf 250. Nach der belgischen Revolution und der Gründung des heutigen Belgiens und der Niederlande im Jahr 1830 explodierte die Produktion von Genever förmlich. Belgien begann wieder eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Spirituose zu spielen.
Die belgische Regierung beschloss, die Steuern auf inländischen Genever zu senken und verbot die Einfuhr von Genever aus den Niederlanden. Dadurch stieg die Zahl der Destillerien im Land in kurzer Zeit auf über Tausend. Mitte der 1880er Jahre wurden in Belgien jährlich über 15 Millionen Gallonen Genever hergestellt. Neu entwickelte Säulen-Destillierapparate (kontinuierlicher Destillierapparat, Patent-Destillierapparat oder Coffey-Destillierapparat) trugen erheblich zur Effizienz der Brennereien und zur Qualität der gewonnenen Spirituosen bei.
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Genever wird Gin
Die Geschichte des Gins in England beginnt vermutlich mit dem Achtzigjährigen Krieg. Im Jahr 1585 schickte die englische Königin Elisabeth Soldaten zur Unterstützung gegen die Spanier in die niederländischen Länder. Als die Truppen in Antwerpen ankamen, bemerkten sie dass ihre niederländischen Kollegen kleine Flaschen an ihren Gürteln trugen, die mit Genever gefüllt waren. Dies könnte gefallen gefunden haben und vermutlich gelangte das Getränk dadurch auch nach England, wo es, einsilbig als Gin bezeichnet, seinen Siegeszug antrat.
Nach der Thronbesteigung Wilhelms von Oranien im Jahr 1688 wurde Gin in England populär. In einer Zeit des politischen und religiösen Konflikts zwischen Großbritannien und Frankreich bot Gin eine Alternative zum französischen Brandy. Zwischen 1689 und 1697 erließ die Regierung eine Reihe von Gesetzen, um die Einfuhr von Branntwein durch Zölle einzuschränken und die Gin-Produktion zu fördern. Vor allem wurde 1690 das Monopol der Londoner Gilde der Destillateure gebrochen, wodurch sich der Markt für neue Gin-Brennereien öffnete.
Im 18. Jahrhundert nahm der Gin-Konsum in England erheblich zu, nachdem die Regierung die Herstellung von Gin ohne Lizenz erlaubte und gleichzeitig hohe Zölle auf importierte Spirituosen, insbesondere französischen Brandy, erhob. In ganz England entstanden Tausende von Gin-Shops. Vom Beginn des Jahrhunderts bis 1750 verzehnfachte sich der Pro-Kopf-Verbrauch im Königreich, eine Zeit, die als Gin-Wahnsinn (Gin Craze) bekannt wurde. Aufgrund des niedrigen Preises von Gin, verglichen mit anderen erhältlichen alkoholischen Getränken, begann die ärmere Bevölkerung regelmäßig Gin zu konsumieren. Von den 15.000 Trinklokalen in London, waren mehr als die Hälfte Gin-Shops. Gin wurde für verschiedene soziale Probleme verantwortlich gemacht und war vermutlich ein wesentlicher Faktor für erhöhte Sterberaten in London.
Gegen den ausufernden Gin-Konsum erließ das Parlament zwischen 1729 und 1751 mehrere Gesetze um das Problem in den Griff zu kriegen. Mit dem legendären Gin Act von 1736 wurden Einzelhändlern hohe Steuern auferlegt, was zu Unruhen auf den Straßen führte. Deshalb wurde die Steuer schrittweise wieder gesenkt und schließlich 1742 abgeschafft. Das Gin-Gesetz von 1751 war erfolgreicher und zwang die Brennereien nur noch an lizenzierte Einzelhändler zu verkaufen. Zusammen mit steigenden Getreidepreise führte dies zur Verteuerung und damit zum Rückgang des Gin-Konsums. Der Gin-Wahn war 1757 weitgehend beendet.
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London Gin
Der Gin des 18. Jahrhunderts wurde in Pot Stills hergestellt und hatte ein malziges Geschmacksprofil, oft wurde mit Terpentin aromatisiert, um zusätzlich harzige und holzige Noten zu erzeugen. Es entstand auch eine neue Variante, die als Old Tom Gin bezeichnet wird. Ein mit Zucker versetzte Gin, der die schlechte Qualität des Alkohols überdecken sollte.
Die Erfindung und Entwicklung der Säulendestillation machte die Destillation neutraler und reiner Spirituosen praktikabel und ermöglichte so die Entwicklung des „London Dry“-Stils, der sich später im 19. Jahrhundert entwickelte und erste Qualitätsmaßstäbe setzte. Gin wurde auch in der gesellschaftlichen Oberschicht beliebt und in den 1830er Jahren entstanden in London die ersten sogenannten Gin-Paläste, deren vornehmlicher Zweck es war, sich in Gesellschaft zu betrinken.
In Deutschland stagnierte der Gin-Konsum viele Jahre auf relativ niedrigem Niveau. Der Markt wurde von günstigen Industrieprodukten internationaler Spirituosenkonzerne dominiert. Gin war in Deutschland nicht sonderlich populär und viele konnten sich mit dem Geschmack nicht so richtig anfreunden. Anfang der Jahrtausendwende entstanden einige respektable deutsche Gin-Sorten, aber der Boom blieb zunächst aus.
Im Jahr 2010 gelangten erstmals 2000 Flaschen des Monkey 47 Gins in den Handel. Der Gin entstand in der Edelobstbrennerei Stählemühle und wurde durch eine Kooperation des Brennmeisters Christoph Keller mit Ideenlieferant Alexander Stein ins Leben gerufen. Durch geschicktes Marketing wurde der Gin so erfolgreich, dass bereits drei Jahre später 150.000 Flaschen produziert wurden, eine Menge, die eine handwerkliche Manufaktur vermutlich überforderte. Der Monkey darf sich ohne Zweifel zu einem Vorreiter des Deutschen Gins zählen. Ende 2018 stellte die Stählemühle ihren Betrieb ein. Bereits 2016 hat Pernod Ricard die Mehrheitsanteile der Black Forest Distillers GmbH erworben, der Gin wird heute 100 km nördlicher, in Loßburg, kommerziell produziert und weltweit vermarktet.
Während massenproduzierte Industrieprodukte auf Menge und Preis setzen, betonen Hersteller heutiger Craft-Gins die Regionalität und den handwerklichen Hintergrund ihrer Spirituosen. Viele Kunden sind bereit, für Nachhaltigkeit und Qualität einen angemessenen Preis zu bezahlen. Zu beobachten sind zwei starke Trends: die Verwendung regionaler Zutaten und eine Rückkehr zu klassischen Rezepturen und Verfahren.
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